Wittichenau – Eine Insel der Glückseligen?

Ein Diskussionsbeitrag  von Klaus Köhn – Bad Honnef, veröffentlicht im „Wittichenauer Wochenblatt“ vom 11. November 2016

Es ist immer ein Verweilen auf der Insel der Glückseligen, wenn ich das Wittichenauer Wochenblatt aufschlage. Da gibt es keine Probleme mit Flüchtlingen, keine Demos, keine nennenswerte Kriminalität, keine Wohnungsnot u. v. m. Die Aufzählung lässt sich noch weiter fortsetzen. So hätte mich fast Glückseligkeit erfassen können, wenn es nicht andere Botschaften gäbe.

Als ich am 3. Oktober mittags die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit und abends im MDR „So schön ist Dresden“ gesehen habe, konnte ich deutlich die zwei Gesichter, die Dresden an diesem Tag gezeigt hat, wahrnehmen: Erneut pöbelnde, sich in Hetztiraden hinein steigernde Bürgerinnen und Bürger, die die Repräsentanten unserer Demokratie, die doch im Osten 40 Jahre vermisst wurde, ergehen. Da hieß es: es sind doch nur ein paar Hundert und (?)… um es mit Brecht zu sagen, die im Dunkeln sieht man nicht, nämlich Tausende in den Nebenstraßen von gleicher Gesinnung und die hinter den Vorhängen. Und die Polizei ließ die pöbelnde Menge gewähren. Ein Polizist wünschte über Lautsprecher der Pegida einen erfolgreichen Tag. Dresdners Oberbürgermeister und Sachsens Innenminister rechtfertigten sogar das passive Verhalten der Polizei, denn es wurde ja nur das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. So schön sind Dresden, Bautzen und andere Orte, wo dem pöbelnden Volk applaudiert wurde. Der Bonner Generalanzeiger titelte: Wie viel Pegida steckt in Sachsens Polizei?

Der Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte in seiner Festrede: „Diejenigen, die heute besonders laut pfeifen und schreien, haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde … Wer das Abendland gegen tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen verteidigen will, muss seinerseits den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen: Respekt und Toleranz üben und die Freiheit der Meinung, der Rede, der Religion wahren und den Rechtsstaat achten.“ Daran scheint es in Ostdeutschland mehr zu mangeln als im Westen.

Ausländerhass ist kein neues Phänomen, auch im Westen. Dafür ist die Flüchtlingswelle nicht allein ursächlich. Der Bonner Generalanzeiger schrieb am 26. Februar 2016: Schon nach dem Mauerfall sagten 42 % der jungen Ostdeutschen: „Mich stören nur die vielen Ausländer bei uns. Dabei sind bis heute nur 2 % der sächsischen Bevölkerung Migranten.“ Aktuell – jetzt einige Monate später – mögen es etwas mehr sein. Und Wittichenau ist (noch) nicht betroffen.

Zu DDR-Zeiten war Wittichenau eine Nischenkultur. Inwieweit hat sich diese Lausitzer Stadt heute geöffnet? Wo sind die Wittichenauer? In der Kirche, auf ihren Heimatfesten, beim Frühschoppen, auf dem Sportplatz, beim Angeln oder im Karneval? Ich erinnere mich an Aussagen, dass selbst Neubürger aus Hoyerswerda nicht allen willkommen waren. Und wenn ich das Wittichenauer Wochenblatt lese, dann scheint Wittichenau weitgehend eine „geschlossene Gesellschaft“ geblieben zu sein, pardon: Eine Insel der Glückseligen – mit Ausnahme auf einen kleinen Bericht der von mir sehr geschätzten Frau Beate Hufnagel, als sie über den Vorfall am Erntefest in der Krabat-Mühle schrieb: es war für sie bestürzend und beschämend, als ein junger Mann von einer im Bad Honnefer Chor aus Aegidienberg mitgereisten Syrerin verlangte, ihr Kopftuch abzunehmen. Danke Frau Hufnagel! Das könnte ein Anfang sein, sich über Vorgänge, die nur wenige Kilometer weiter in Dresden oder noch näher in Bautzen stattfanden, auch im Wochenblatt kritisch auseinander zu setzen. Ich habe Ostdeutschland in den ersten Jahren bewundert, mit welcher Freude und Engagement der Tag der „Deutschen Einheit“ gefeiert und auch darüber im Wittichenauer Wochenblatt berichtet wurde. Ist diese Freude nach 26 Jahren erloschen?

Ich hoffe, dass sich nicht allzu viele nun mehr und mehr vom Osten abwenden, wie z. B. mein Enkel, der begeistert nach seinem Studium in Köln als Lehrer nach Dresden gegangen ist, und im Sommer Dresden wieder entsetzt verlassen hat und jetzt in Köln unterrichtet. Quo vadis Sachsen?

Ich weiß, dass ich mit meinem Artikel einige Leser provoziere, vielleicht sogar Freunde. Ich weiß nicht, ob ihn Christian Schenker, für den ich seit ca. 20 Jahren hin und wieder schreibe, veröffentlichen wird. Wenn es geschieht, dann werde ich zu meinen Aussagen stehen und mich einer Diskussion stellen.