725 Jahre Stadtrechte

von Werner Osterbrink Vorsitzender des Partnerschaftskomitees Bad Honnef Wittichenau von 1993 bis 2011, Ehrenbürger der Stadt Wittichenau

Die Stadt Wittichenau feiert 2011 das 725-jährige Jubiläum der Verleihung des Stadtrechtes, wahrlich ein guter Grund zum Feiern, zu feiern in Freiheit und uneingeschränkt. Wer Geschichte richtig zu würdigen versteht, muss daran erinnern, dass das vor 22 Jahren in dieser Form noch nicht möglich gewesen wäre.
Es sollte eine andere Gelegenheit geben, die gesamte Geschichte von Wittichenau zu würdigen, denn allein die auf der Webseite der Stadt unter Historie aufgeführten mehr als 130 Ereignisse zwischen 1248 und 2010 verlangen nahezu danach, interpretiert zu werden. Das würde heute jedoch den vorgesehen Rahmen sprengen.
Erlauben Sie mir trotzdem, einen kleinen Streifzug durch die Geschichte dieser schönen, sympatischen Stadt zu unternehmen, die mir und Erich Dieter Walkenhorst, in dessen Namen ich auch spreche, die Ehrenbürgerschaft verliehen hat. Wir wissen das sehr zu würdigen, Ehrenbürger einer Stadt mit einer so langen, Ereignis reichen Geschichte zu sein. Die erste Erwähnung wie auch die Verleihung der Stadtrechte im 13. Jahrhundert kennzeichnet auch die Epoche des Übergangs vom Hochmittelalter zum Spätmittelalter in Europa. Das war die Zeit, als auf der Grundlage von Handel und Handwerk das Bürgertum und die Zünfte entstanden. Da die Geschichtsdaten im Jahr 1303 schon ein Untergericht nach Magdeburger Recht verzeichnen, dürfen wir davon ausgehen, dass Handel und Handwerk in Wittichenau Bedeutung hatten.

Mit dem 13. Jahrhundert verbinden sich so berühmte Persönlichkeiten wie der große Universalgelehrte und Theologe Albertus Magnus, Gründer der Kölner Universität, der übrigens im Jahr 1268 in der Honnefer Pfarrkirche St. Johann Baptist gepredigt hat. Auch Elisabeth von Thüringen, Franz von Assisi, Thomas von Aquin sowie der Mystiker und Scholastiker Meister Eckart lebten in dieser Zeit.

Einschneidende Ereignisse in Wittichenau verbinden sich mit dem 14. Jahrhundert. Diese alle würdigen zu wollen würde zu weit führen. Erwähnt werden muss jedoch die völlige Zerstörung der Stadt 1346 im Krieg von Kaiser Karl IV. mit dem Markgrafen Ludwig dem Bayer von Brandenburg.

In wieweit Wittichenau von den großen Hungersnöten und der Pest zu Beginn und der Mitte des 14. Jahrhunderts betroffen war bliebe zu untersuchen. Sicher jedoch ist, dass sich die Wittichenauer Bürger weder von der völligen Zerstörung ihrer Stadt im 14. Jahrhundert noch von der im 15 Jahrhundert durch die Hussiten entmutigen ließen, denn schon zwischen 1445 und 1527 entstand der massive Neubau der Stadtkirche als spätgotische Hallenkirche.
Ein herausragendes Ereignis im 16 Jahrhundert war zweifelsohne die erstmalige Ausrichtung der Wittichenauer Osterreiter auf Ralbitz im Jahr 1540 nachdem sie bis 1539 nach Hoyerswerda geritten waren. Überhaupt scheint diese nachhaltige Demonstration des Glaubens nicht unerheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen und die Entwicklung ihrer Stadt bis heute genommen zu haben.
Kirche und Glaube, Karneval und Bier sind keine Gegensätze in Wittichenau. Hervorgehobene Geschichtsdaten im 17. Jahrhundert sind die erstmalige Erwähnung eines Brauhauses auf dem Markt, 1630 und die Wallfahrt des Wittichenauer Kaplans mit 15 sorbischen Pilgern nach Rom. Dort wurden sie von Papst Innozenz XII empfangen und kehrten mit einer Reliquie des römischen Märtyrers Bonifatius zurück. Möglicherweise haben diese frühen vatikanischen Kontakte auch den apostolischen Nuntius in Deutschland mehrfach in den letzten Jahren veranlasst, Wittichenau zu besuchen.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, 1704, starb der kroatische Oberst Johann von Schadowitz, besser bekannt unter seinem Namen Krabat. Er wurde in der Pfarrkirche beigesetzt. Gegenwärtig versucht das Partnerschaftskomitee in Bad Honnef zusammen mit dem Partnerschaftsverein Wittichenau mit Hilfe von Krabat eine kreative Verbindung zwischen den Grundschulen beider Städte zustande zu bringen.
Der Karneval ist ein weiters verbindendes Element zwischen Bad Honnef und Wittichenau. Hier findet er immerhin schon seit 1706 statt In 1749 erhielt Wittichenau von König Friedrich August von Polen das Privileg Vieh und Wochenmärkte abzuhalten und einen Brücken und Pflasterzoll zu erheben. Übrigens – Viehmärkte hat es in Bad Honnef nie gegeben. Erstens sind die Strassen dafür viel zu eng und zweitens gab es immer schon viel zu wenige – zumindest vierbeinige – Rindviecher. Je näher wir uns der Gegenwart nähern umso ergiebiger sind die Aufzeichnungen wesentlicher Ereignisse im 19 Jahrhundert:

  • 1815 kommt Wittichenau durch Beschluss des Wiener Kongresses nach 180 Jahren von Sachsen nach Preußen
  • 1823 letzter großer Stadtbrand. Alles brannte nieder incl Altes Rathaus. Die Stadttore mussten abgetragen werden. Schade!
  • 1828 Einführung der allgemeinen Schulpflicht.
  • 1852 Gründung der Brauerei Franz Hocke. Ich vermute, das ist heute die Brauerei Glab.
  • 1869 Installierung von Petroleumlampen als Straßenlaternen. Da Bad Honnef erst 1862 die Stadtrechte verliehen bekam, ist anzunehmen, dass das auf Grund vorhandener Petroleumlampen geschah.
  • 1874 Bildung von Amtsbezirken in Wittichenau, die offensichtlich mit den heutigen Ortsteilen identisch sind.
  • 1878 Ein ganz wesentliches Ereignis, die erste Ausgabe des Wittichenauer Wochenblattes erscheint.
  • 1881 Gründung des Kolpingvereins.

Das 20. und 21. Jahrhundert mit seinen katastrophalen Ereignissen aber dann auch mit den positiven Wendungen haben noch viele Menschen in Wittichenau, aber auch in den anderen beteiligten Städten in bleibender Erinnerung: Die beiden Weltkriege mit ihren fürchterlichen Folgen: Millionen Tote. Tote in unseren Familien, unter unseren Verwandten und Freunden, Entwurzelung und Vertreibung der Menschen, Verhaftung und Ermordung von Widerständlern durch Nationalsozialisten und Kommunisten, Teilung Deutschlands in Ost und West und Trennung von Familien. Dann aber 1989/90 eine Zeitenwende. Niedergang des sozialistischen Sowjetkommunismus. Wir sind ein Volk, wir sind das Volk tönte es landauf, landab in der DDR. Bürgerbewegungen waren unüberhörbar auch hier in Wittichenau. Die Solidarnocz in Polen und Papst Johannes Paul der II bereiteten den Weg. US-Präsident Ronald Reagan, dann Michael Gorbatschow und Helmut Kohl, die Präsidenten Georg Bush und Francois Mitterand, der 2 + 4 Vertrag, der 10 Punkte Plan von Helmut Kohl und die blühenden Landschaften. Die Wittichenauer Bürgerinnen und Bürger, ihre Protagonisten und Repräsentanten nutzten sofort die Gunst der Stunden zum Wohl ihrer Stadt: Die Befindlichkeit der Stadt von 1990 bis zur Gegenwart wird am Beispiel folgender Ereignisse deutlich:

  • Die ersten freien Wahlen seit 1933, also nach 57 Jahren kollektiver Zwangsherrschaft.
  • Nach 54 Jahren Wiederbelebung des Wittichenauer Wochenblattes durch Christian Schenker.
  • 450 Jahre Osterreiten nach Ralbitz.
  • Peter Schowtka wird der erste frei gewählte Bürgermeister nach 57 Jahren.
  • Bad Honnef wird Partnerstadt und die EVSE mit Joachim Popella als Geschäftsführer wird gegründet.
  • Ulrich Klinkert wird in den Bundestag gewählt und später parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium von Angela Merkel.
  • Gründung des Partnerschaftsvereins mit dem Vorsitzenden Peter Popella an der Spitze
  • Städtepartnerschaft mit Tanvald
  • Udo Popella wird zum Bürgermeister gewählt nach dem Peter Schowtka sich für ein Landtagsmandat entschieden hatte
  • Diese fantastische Sport- und Mehrzweckhalle wird 1996 eingeweiht
  • Günter Särchen, der Wittichenauer Ehrenbürger, der sich um das deutsch-polnische Verhältnis insbesondere in Zeiten der Unterdrückung große Verdienste erworben hatte, starb 2004
  • Ein freudiges Ereignis dann 2006. Man feierte 300 Jahre Wittichenauer Karneval, aber wie!
  • 2008 dann die Städtepartnerschaft mit der polnischen Stadt
  • Lubomierz und schon ein Jahr später 2009 trafen sich die Bürgermeister und die Vorstände der Partnerschaftskomitees bzw. Vereine aus Wittichenau, Bad Honnef, Tanvald und Lubomierz zu einem europapolitischen Seminar in Strasbourg. Diese Treffen sollen fortgeführt werden.

Um eine umfassende Würdigung der Entwicklung und der Geschichte dieser schönen Stadt in den Jahren seit 1990 dar zu stellen wäre eine Ergänzung z.B. durch Fakten der baulichen Entwicklung, der Infrastruktur, des sozialen und kulturellen Lebens erforderlich gewesen. Dazu fehlten mir jedoch die notwendigen Hintergrundinformationen. Ungeachtet dessen und auf der Grundlage meiner Beobachtungen über nunmehr 21 Jahre bin ich sicher, die Prophezeiung von Helmut Kohl aus 1990, es würden sich über kurz oder lang blühende Landschaften entwickeln, hat sich in Wittichenau voll bestätigt. Nicht zufällig, von Ungefähr sondern weil daran zielstrebig durch Rat und Verwaltung der Stadt unter der Leitung der Bürgermeister Peter Schowtka und Udo Popella gearbeitet wurde.