Es lebe die Tradition! von Klaus Köhn – Ein Diskussionsbeitrag von Klaus Köhn

Klaus Köhn 

 

481 Jahre Osterreiten – wahrlich ein erhaltens- und ehrwürdiger Brauch. 1991 und 1992 haben meine Frau und ich zum ersten Mal mit unseren neuen Wittichenauer Freunden Ostern in großer Ergriffenheit erleben dürfen. Wir waren von der tiefen Volksfrömmigkeit tief beeindruckt und erlebten einen sehr aufgeregten und nervösen Gastgeber in seinen umfangreichen Vorbereitungen auf das Osterreiten. Wenn wir dann nach 30 Jahren wieder die Bilder im Wittichenauer Wochenblatt wie Jahr für Jahr betrachten, können wir uns kaum der Gefühle erwehren, die uns selbst noch heute immer wieder ergreifen. Es hat sich nichts verändert – nicht nach 30 und nicht nach 481 Jahre! Auf den ersten Blick großartige Bilder! 2022 fünf Seiten und mehr! Doch fehlt beim genaueren Hinsehen etwas­: Reiterinnen. Wir erinnern uns, dass es vor 30 Jahren noch hieß: Diese Reitprozession sei für die Frauen körperlich zu anstrengend. Näher nachgedacht habe ich damals über dieses Argument nicht. Zu überwältigend und nachhaltig waren unsere ersten Eindrücke. Doch zwischenzeitlich erlebten wir viele sozialen Veränderungen. Unser Frauenbild hat sich mehr und mehr verändert. Feuerwehrfrauen und Soldatinnen – früher ein Unding – sind heute selbstverständlich. In vielen traditionsreichen Schützenvereinen, die nur den Männern vorbehalten waren, werden Frauen zu gleichberechtigten Mitgliedern. Mit der städtischen Schützenordnung von 1710 taucht das Amt des Bruchmeisters bei den Schützen in der Stadt Hannover auf, Teil der regionalen Identität und ein traditionelles männliches Ehrenamt. 2022 wird das Bruchmeisteramt für Frauen und Männer geöffnet, und das Amt setzt ein wichtiges Zeichen für eine gelebte und bewegliche Schützentradition. „Wir wollen die Attraktivität des Schützenwesens und auch des Schützenfestes stärken; Traditionen sollten sowohl bewahrt werden, aber auch zukunftsfähig gestaltet werden“.

Beim Schaffermahl in Bremen, dem ältesten, sich alljährlich wiederholenden Brudermahl der Welt sind Frauen auch erst seit 2015 regulär als Gäste zugelassen. Sind die Damen jetzt trinkfester?

Unter den Osterreitern sehe ich in jedem Jahr den Sohn unserer Wittichenauer Freunde. Doch seine ältere Schwester, mit ihrer Tochter erfolgreiche Springreiterin in Wittichenau, mit großen Vorbildern im internationalen Reitsport, striegelt im Stall die Pferde für ausschließlich männliche Osterreiter. Unter ihnen soll es auch solche geben, die gar nicht reiten können.

 

Welche Gründe sprechen nun gegen eine Teilnahme von Osterreiterinnen? Sicherlich keine Theologischen. Nicht nur nach dem Matthäusevangelium (Kapitel 28) waren es Maria Magdalena und Maria, die kamen, um nach dem Grabe zu sehen … Und der Engel sagte zu den Frauen: „Fürchtet Euch nicht! Ich weiß, dass Ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden. Geht nun hin zu den Jüngern und sagt ihnen, dass er von den Toten auferstanden ist.“ Die Frauen waren es, die den Auftrag bekamen, die Osterbotschaft zu verkündigen. Und sie waren die Ersten, denen der Auferstandene erschien und den Auftrag wiederholte. Matthäus hatte davon Kenntnis, die auch der Erzählung im Evangelium nach Johannes 20, 11 – 18 ursprünglich zugrunde liegt. Matthäus lässt die dritte der von Markus genannten Frauen Salome (vgl. Markus 16, 1 ff.) unerwähnt. Auch Lukas (Kapitel 24) bestätigt diese Ereignisse. Und ausgerechnet die Frauen sollen von der Verkündigung der Osterbotschaft auf dem Rücken der Pferde ausgenommen werden.

Wir haben heute nicht mehr die fast ausschließlich patriarchalische Gesellschaft wie vor 500 Jahren. Die Osterbotschaft und ihre Verkündigung sind der Kern des Brauchtums, aber bitte nicht im Widerspruch zu den Evangelien. Die Frauen sollten daher mitreiten können, wenn sie es wollen, vielleicht für die Männer, die nicht reiten können, wenigsten für drei Jahre, denn was sich in Köln schon drei Jahre wiederholt, ist Tradition, und altes Brauchtum ist wieder geheilt und auferstanden.